Unterstützung für längere Lebensarbeitszeit
Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln, Michael Hüther, unterstützt Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche bei ihren Überlegungen zu einer längeren Lebensarbeitszeit. Hüther schreibt in einem Gastbeitrag für die Nachrichtenseite ntv, dass die Rente mit 67 Jahren angesichts einer wieder steigenden Lebenserwartung nicht das letzte Wort gewesen sein könne. Die Erhöhung der Lebensarbeitszeit und eine höhere Erwerbsbeteiligung älterer Menschen seien wichtige Bausteine, um die in Deutschland anfallende Arbeit zu bewältigen und die Sozialsysteme zu sichern.
Demografische Herausforderungen
Hüther verweist darauf, dass das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen in Deutschland zu niedrig sei. Dies liege nicht zwangsläufig an mangelndem Fleiß,sondern an der Alterung der Gesellschaft. In den Jahren 2026 bis 2029 werden laut Hüther 5,2 Millionen Menschen das Alter von 66 Jahren erreichen, während nur 3,1 Millionen Menschen in die Altersgruppe ab 20 Jahren nachrücken. Dies sei eine Folge des sogenannten Pillenknicks, der zwischen 1965 und 1975 zu einer Verringerung der Geburtenrate geführt habe. Deutschland stehe damit vor einem anstrengenden demografischen Übergang. Erschwerend komme hinzu,dass sich die jährlichen Arbeitsstunden je erwerbstätigen von 1.554 im Jahr 1991 um 14,3 Prozent auf 1.332 im Jahr 2024 verringert hätten; im Jahr 1970 lag diese Zahl in Westdeutschland noch bei 1.966.
Steigerung der Jahresarbeitszeit
Neben der Anhebung des Rentenalters fordert Hüther auch eine Steigerung der Jahresarbeitszeit.Dies könne bei gegebenem Teilzeitanteil über die Wochenarbeitszeit und die Anzahl der Arbeitstage erreicht werden.Die Wochenarbeitszeit werde im Rahmen des Arbeitszeitgesetzes von den Sozialpartnern gestaltet,ebenso der Urlaubsanspruch oberhalb des gesetzlichen Mindestniveaus von 20 Tagen. Die Anzahl der gesetzlichen und kirchlichen feiertage werde landesgesetzlich geregelt. Die Jahresarbeitszeit lasse sich gezielt dort erhöhen, wo Menschen unfreiwillig in Teilzeit beschäftigt sind, etwa Alleinerziehende, die keine angemessene Kinderbetreuung finden.
Rolle der Zuwanderung
Auch eine gezielte Zuwanderung kann nach Ansicht von Hüther zur Absicherung des Rentensystems beitragen.Notwendig sei sowohl eine gezielt aus Sicht des Arbeitsmarktes gesteuerte Fachkräftezuwanderung als auch weiter steigende Erwerbstätigenquoten potenziell erwerbsfähiger Personen, die sich bereits im Land befinden. Es gehe darum, Menschen aus der stillen Reserve für den Arbeitsmarkt zu gewinnen, insbesondere durch den Abbau von Fehlanreizen in den Sozialsystemen sowie durch Integrations- und Bildungsangebote.
Flexibilisierung und Dynamik am Arbeitsmarkt
Insgesamt sieht Hüther einen Mangel an Dynamik im Ordnungsrahmen zur Arbeit. Er fordert eine Flexibilisierung bei der betrieblichen Organisation von Arbeitszeit und Arbeitsort sowie eine Deregulierung der Zeitarbeit und befristeter Beschäftigung, um das Arbeitsvolumen in Deutschland zu erhöhen. Arbeitsmarktpolitische Ideen sollten nicht ideologisch abgelehnt werden, sondern nach ihrem Sinn und Zweck geprüft werden. Hüther betont, dass es eine Vielzahl von Maßnahmen gebe, die sich gegenseitig verstärken und nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten. In einem flexibleren und dynamischeren Ordnungsrahmen steige die Wahrscheinlichkeit, dass die Arbeitsproduktivität stärker wachse.