Es ist ein Treffen mit zwei sehr unterschiedlichen Ergebnissen: Während Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und die Regierungschefs der Länder beim Thema Bürokratieabbau einen historischen Durchbruch verkündeten, bleibt die drängende Frage der Neuordnung der Finanzbeziehungen vorerst unbeantwortet. Eine Entscheidung darüber wurde auf Anfang 2026 vertagt.
200 Maßnahmen gegen den „Stillstand“
Im Zentrum der Beschlüsse steht eine umfassende Modernisierungsagenda. „Wir haben uns auf ein 200-Maßnahmen-Programm verständigt“, erklärte der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK), Alexander Schweitzer (SPD), im Anschluss an die Beratungen in Berlin. Ziel sei es, den „Stillstand zu überwinden“, wie es Co-Vorsitzender Michael Kretschmer (CDU) formulierte.
Das Paket, das in monatelanger Arbeit in elf Arbeitskreisen vorbereitet wurde, sieht weitreichende Erleichterungen für Wirtschaft und Bürger vor:
- Turbo für Unternehmensgründungen: Gründungen sollen künftig innerhalb von 24 Stunden möglich sein.
- Weniger Berichtspflichten: Um Unternehmen zu entlasten, soll „mindestens ein Drittel der Berichts-, Dokumentations- und Auskunftspflichten“ ersatzlos gestrichen werden.
- Genehmigungsfiktion: Ein radikaler Schritt ist bei Anträgen von Bürgern geplant. Reagieren Ämter nicht innerhalb einer bestimmten Frist – im Gespräch sind drei Monate –, gilt der Antrag automatisch als genehmigt.
- Erleichterungen im Alltag: Wie bereits im Vorfeld bekannt wurde, erhalten Bürger ab 70 Jahren künftig Personalausweise mit unbegrenzter Gültigkeit. Auch Wohnsitzummeldungen und die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen sollen deutlich vereinfacht werden.
Reallabore und Baurecht
Um die Verwaltung selbst zu entlasten, setzen Bund und Länder auf mehr Mut zum Experiment. Sogenannte „Experimentierklauseln“ sollen es Kommunen ermöglichen, in „Reallaboren“ zeitweise von starren landesrechtlichen Regelungen abzuweichen. Zudem ist eine bundeseinheitliche IT-Infrastruktur geplant, um den Datenaustausch zwischen Behörden endlich reibungslos zu gestalten.
Auch im Baurecht soll Tempo gemacht werden. In bestimmten Fällen soll künftig eine bloße Anzeige genügen; ein langwieriger Genehmigungsantrag entfällt. Sachsens Ministerpräsident Kretschmer nannte als Beispiel den Ersatzneubau maroder Infrastruktur: Es sei unverständlich, wenn etwa bei einer alten Eisenbahnstrecke für einen bloßen Ersatzbau erneut komplexe Verfahren nötig seien. Hier müsse „einfach gebaut“ werden können.
Allerdings gibt es beim Bauen noch Hürden: Das geplante „Infrastrukturzukunftsgesetz“ hängt derzeit noch in der komplizierten Abstimmung zwischen Umwelt- und Verkehrsressorts fest.
Finanzstreit vertagt: Kommunen in „dramatischer Lage“
So einig man sich beim Bürokratieabbau war, so weit liegen die Positionen beim Geld noch auseinander. Kanzler Merz und die Länderchefs vertagten die Entscheidung über die künftigen Finanzbeziehungen auf das erste Quartal 2026. Dann soll eine Sonder-Ministerpräsidentenkonferenz einberufen werden.
Der Knackpunkt ist das Prinzip der „Veranlassungskonnexität“, besser bekannt unter der Formel: „Wer bestellt, bezahlt.“ Die Länder fordern, dass der Bund künftig strikter für Kosten aufkommt, die er durch seine Gesetze bei Ländern und Kommunen verursacht.
Der Handlungsdruck ist enorm. Alexander Schweitzer beschrieb die Situation der Kommunen als „dramatische Lage“ und bezifferte das aktuelle Defizit auf 35 Milliarden Euro. Zwar hätten die Länder Vorschläge für eine gerechtere Lastenverteilung gemacht, das bisherige Angebot des Bundes reiche jedoch nicht aus. Kanzler Merz räumte ein, dass das Thema „sehr viel komplexer ist, als es ursprünglich angenommen wurde“, versicherte aber, man werde sich intensiv bemühen, das Problem gemeinsam mit den Gemeinden in den Griff zu bekommen.
Wirtschaft reagiert positiv
Die Wirtschaft, die im Vorfeld über Verbände in die Erarbeitung der Vorschläge eingebunden war, reagierte mit vorsichtigem Optimismus. Helena Melnikov, Hauptgeschäftsführerin der DIHK, mahnte jedoch zur konsequenten Umsetzung: „Die Wirtschaft braucht eine Verwaltung, die vernetzt, effizient und nutzerfreundlich ist.“
Der parlamentarische Staatssekretär im Digitalministerium, Philipp Amthor (CDU), sprach angesichts der Einigung von einer „Mammutaufgabe“. Teilweise hätten die Verhandlungen über elf Stunden gedauert, da fast die Hälfte der Punkte zwischenzeitlich strittig war. Nun folge der nächste Schritt: Die zahlreichen Änderungen in den Verwaltungsverfahren müssen in konkrete Gesetzesanpassungen gegossen werden.











