Forderung nach strukturreformen in der gesetzlichen Krankenversicherung
Die Innungskrankenkassen drängen auf umfassende Strukturreformen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).Nach Angaben der gemeinsamen Vertretung der Innungskrankenkassen in Berlin wird die GKV angesichts steigender Leistungsausgaben zunehmend auch zum Auffangbecken für staatliche Aufgaben. Im vierten Quartal 2024 verzeichnete die GKV ein Defizit von 6,2 Milliarden Euro.
Erwartetes Defizit und steigende Zusatzbeiträge
Für das laufende Jahr rechnen die Krankenkassen mit einem Fehlbetrag von 46 Milliarden Euro. 88 von 94 Krankenkassen erhöhen ihre Zusatzbeiträge, weitere Anhebungen sind bereits angekündigt. Dies führt laut Hans Peter Wollseifer, Vorstandsvorsitzender des Vereins, für Arbeitnehmer zu weniger Netto vom Brutto und für arbeitgeber, insbesondere im Mittelstand, zu einem stärkeren Druck bei den Lohnnebenkosten.
kritik an staatlicher Finanzierung
Wollseifer kritisierte,dass die Bundesregierung in dieser Situation auf Darlehen setze. Dadurch würden Beitragszahler künstlich zu Schuldnern gemacht, obwohl sie tatsächlich den Staatshaushalt subventionierten. Dies sei finanzpolitisch fragwürdig und belaste diejenigen, die das Gesundheitswesen finanzieren.
Stimmungsbild der Versicherten
Eine aktuelle Forsa-Umfrage im Auftrag des IKK e.V. zeigt einen deutlichen Stimmungsumschwung. 65 prozent der Befragten sehen die zu hohen Beitragssätze als eines der drängendsten Probleme im Gesundheitswesen, im Vorjahr waren es noch 46 Prozent. 82 Prozent der Versicherten fordern eine strikte Zweckbindung der GKV-Beiträge, damit diese ausschließlich für Leistungen an GKV-Mitglieder verwendet werden. Das entspricht einem Anstieg um 15 Prozentpunkte innerhalb eines Jahres.
Sinkende zufriedenheit mit der Gesundheitspolitik
Die Zufriedenheit mit der Gesundheitspolitik ist auf ein niedriges Niveau gesunken. Nur noch 28 Prozent der Menschen sind aktuell zufrieden oder sehr zufrieden, während es im Vorjahr noch 39 Prozent waren. Besonders in der Altersgruppe der 45- bis 59-Jährigen, die einen Großteil der Finanzierung trägt, äußern 74 Prozent deutliche Unzufriedenheit.
Konkrete Reformvorschläge der Innungskrankenkassen
Angesichts der aktuellen Entwicklungen fordern die Innungskrankenkassen drei kurzfristige Maßnahmen. Erstens solle die Bundesregierung die Versorgung von Bürgergeld-Beziehern vollständig und kostendeckend aus steuermitteln finanzieren, um eine jährliche Lücke von rund zehn Milliarden Euro in den GKV-Haushalten zu vermeiden. Zweitens müssten gesetzliche Ausgabensteigerungen kritisch überprüft werden, insbesondere wenn sie keinen nachweisbaren Mehrwert in der Versorgung bringen. dazu zählen unter anderem die geplante Entbudgetierung im fachärztlichen Bereich und die Erhöhung des Apothekenfixums. Drittens sei ein verbindliches Ausgabenmoratorium notwendig, bis die Ergebnisse der eingesetzten Expertenkommission vorliegen und in politische Reformen umgesetzt werden.
Finanzierung versicherungsfremder Leistungen
Die Innungskrankenkassen betonen die Notwendigkeit einer verantwortungsgerechten Finanzierung versicherungsfremder Leistungen. Diese werden derzeit aus Beiträgen finanziert, obwohl sie staatliche Aufgaben darstellen. Der bundeszuschuss wurde seit 2017 nicht mehr erhöht. Die Innungskrankenkassen fordern, dass der Staat seiner Verantwortung nachkommt und den Bundeshaushalt nicht dauerhaft aus Beiträgen der Sozialversicherung quersubventioniert.
Reformvorschläge zur Stabilisierung der GKV
Die Innungskrankenkassen legen ein Bündel von Reformvorschlägen vor, das sowohl die Einnahmen- als auch die Ausgabenseite adressiert. Auf der Einnahmeseite fordern sie die Einbeziehung neuer Erwerbs- und Geschäftsmodelle wie die digitale Plattformarbeit in die solidarische finanzierung. Zudem sollen Teile der staatlichen Einnahmen aus Genusssteuern, beispielsweise aus Tabak- und Alkoholsteuern, zweckgebunden an die GKV zurückfließen.
Auf der Ausgabenseite betonen die Innungskrankenkassen die Notwendigkeit, Steuerungs- und Prüfrechte wieder auszubauen, etwa bei Krankenhausabrechnungen und Ausschreibungen im Arznei- und Hilfsmittelbereich. Gleichzeitig sollen evidenzbasierte Entscheidungen darüber gefördert werden, welche Leistungen im Katalog verbleiben. Um Wartezeiten zu reduzieren und den Zugang zur Versorgung zu verbessern,soll die Primärversorgung gestärkt werden.