Uneinigkeit bei Aufnahme verletzter Kinder aus dem Gaza-Streifen
Die Koalitionsfraktionen im Bundestag sind sich uneinig über die mögliche Aufnahme verletzter Kinder aus dem Gaza-Streifen. Der außenpolitische Sprecher der SPD, Adis Ahmetovic, erklärte gegenüber der „Welt“, seine Fraktion begrüße ausdrücklich die Initiative einiger Städte, die sich für eine Evakuierung verletzter Kinder offen gezeigt haben. Ahmetovic betonte, dies sei ein wichtiges internationales Zeichen der Solidarität. Er forderte, dass das Auswärtige Amt die notwendigen Schritte für medizinische Evakuierungen einleite und das Bundesinnenministerium eine zentrale Verteilung organisiere. Sicherheitsbedenken müssten vor einer Evakuierung ausgeräumt werden.
Kritik und Ablehnung aus der Union
Günter Krings, stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion, sprach sich gegen eine Evakuierung aus. Er argumentierte, es sei der falsche Ansatz, Kinder von ihren Familien zu trennen und in einen fremden Kultur- und Sprachraum zu bringen. Krings betonte,das Kindeswohl müsse im Mittelpunkt stehen. Stattdessen solle Deutschland die arabischen Nachbarstaaten dabei unterstützen, besonders hilfsbedürftige Kinder aufzunehmen. Zudem warnte Krings vor der Aufnahme von Familien, da die Erfahrung zeige, dass über kurz oder lang auch Erwachsene kämen. Angesichts der Rolle der Hamas in Gaza bestehe die Gefahr, dass eine Terrororganisation Einfluss darauf nehme, wer nach Deutschland reisen dürfe.
Zurückhaltung der Bundesregierung
Die Bundesregierung äußerte sich weiterhin zurückhaltend zu einer möglichen Aufnahme. Ein sprecher des Bundesinnenministeriums erklärte,die Umsetzbarkeit solcher Initiativen hänge entscheidend von der sicherheitslage,der Möglichkeit der Ausreise und weiteren Faktoren ab. Konkrete Vorhaben würden derzeit mit verantwortlichen Partnern geprüft. Im Fokus stehe die Ausweitung der medizinischen Hilfe vor Ort und in der Region.
Forderungen von Grünen und Linken
Die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Filiz Polat, forderte die Bundesregierung zum Handeln auf. Sie verwies darauf, dass bereits 13 EU-Länder Patienten aus Gaza aufgenommen hätten, darunter Spanien, Italien und Rumänien. Polat betonte, es sei höchste Zeit, dass auch Deutschland diesem Beispiel folge und Menschen aufnehme.Auch die Linke sprach sich für eine Aufnahme aus. Die innenpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion, Clara Bünger, kritisierte, dass sich Berlin hinter der Formel „Hilfe in der Region“ verstecke. sie bezeichnete es als perfide, mit angeblichen Sicherheitsbedenken bei Begleitpersonen eine Aufnahme zu blockieren. Bünger wies darauf hin, dass ohnehin vor jeder Aufnahme Sicherheitsüberprüfungen stattfänden.
AfD warnt vor Fluchtbewegungen
Die AfD warnte vor möglichen Fluchtbewegungen aus dem von Israel und Ägypten blockierten Gebiet. Der außenpolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Markus Frohnmaier, sprach sich für humanitäre Hilfe im Kriegsgebiet aus, die allen Kindern zugutekommen solle. Die aufnahme einzelner Kinder in Deutschland halte er für das falsche Signal, da Familien hoffen könnten, dass auch erwachsene nachkommen dürfen. Fluchtbewegungen müssten mit Blick auf die bereits bestehende soziale Belastung vermieden werden.
Humanitäre Lage im Gaza-Streifen
laut der Analyse zur „Integrierten Klassifizierung der Ernährungssicherheitsphasen“ vom Mai wird die gesamte Bevölkerung im Gaza-Streifen bis September mit hoher akuter Ernährungsunsicherheit (IPC-Phase 3 oder höher) konfrontiert sein. Rund eine halbe Million Menschen werde sich bis September in einer Katastrophensituation befinden, die durch extremen Nahrungsmangel, Hunger, Elend und Tod gekennzeichnet ist (IPC-Phase 5). Mehr als 70.000 kinder unter fünf Jahren sowie 17.000 schwangere und stillende Frauen seien von akuter Unterernährung betroffen. Ab IPC-Stufe 4 ist medizinische Nothilfe erforderlich, doch laut Weltgesundheitsorganisation wurden 84 Prozent aller gesundheitseinrichtungen in Gaza beschädigt oder zerstört.
Seit Mai hat sich die Lage weiter verschlechtert. Experten schätzen, dass täglich mindestens 500 Lastwagen mit Hilfslieferungen für Gaza benötigt werden. In den vergangenen Monaten erreichten jedoch aufgrund israelischer Beschränkungen durchschnittlich nur etwa 70 Lastwagen pro Tag die Bevölkerung im Gaza-Streifen.