Kritik am EU-Zulassungsverfahren für neuartige Lebensmittel
Deutsche Food-Start-ups und Investoren kritisieren das EU-Zulassungsverfahren für neuartige Lebensmittel als zu langwierig, innovationsfeindlich und intransparent. Patrick Noller vom Berliner Start-up-Investor foodlabs bezeichnete die Zulassung neuartiger Lebensmittel in der EU als „Albtraum“. Seiner Aussage nach sei es mittlerweile einfacher, ein Medikament zuzulassen als ein neues Lebensmittel. Dies passe nicht mehr zur heutigen Innovationsgeschwindigkeit, insbesondere im Vergleich zu den USA oder asiatischen Märkten. Viele Unternehmen erwägen daher, ins Ausland abzuwandern. Dadurch könnten innovationskraft und Arbeitsplätze in Europa verloren gehen.
Wettbewerbsnachteile für europäische Start-ups
Ivo Rzegotta vom Thinktank Good Food Institute (GFI Europe) betonte, dass die EU eine Chance verpassen könnte, in der lebensmittelindustrie eine Führungsrolle zu übernehmen.Start-ups im Lebensmittelbereich hätten derzeit einen klaren Wettbewerbsnachteil. Die EU drohe, nach der Solar- und Chipindustrie, auch im nächsten zukunftsträchtigen Milliardenmarkt den Anschluss zu verlieren.
Kritik an der Novel-Food-Verordnung
Seit 1997 regelt die Novel-food-Verordnung die Zulassung neuartiger Lebensmittel in der EU. Christian Dammann, Chief Technical Officer der Firma Bluu Seafood, bezeichnete die Regelung als „kompliziert, langwierig und viel zu intransparent“. Bluu Seafood stellt im Bioreaktor sogenannten kultivierten Fisch her.
Philip tigges, Managing Director des Hamburger Start-ups Infinite Roots, berichtete, dass sein Unternehmen seit Jahren wissenschaftliche Dossiers bei den Behörden einreiche, ohne wirklich voranzukommen. Der Prozess sei sehr frustrierend. Infinite Roots züchtet das Wurzelgeflecht von Pilzen in Fermentern, um alternative Lebensmittel herzustellen.
Auch Raffael Wohlgensinger,Gründer und CEO der Firma Formo aus Berlin,äußerte Kritik. Das Unternehmen habe seine Technologie in Deutschland entwickelt, müsse aber nun schnell kommerzialisieren. Jeder Monat Wartezeit koste wertvolle Zeit und Kapital. Formo startete 2019 mit der Idee, Milchproteine wie Kasein biotechnologisch zu erzeugen, um daraus Käsealternativen zu entwickeln.
Forderung nach Reformen und Testprogrammen
Die Start-ups fordern ein „Sandbox-Programm“ nach niederländischem Vorbild. In den Niederlanden dürfen Produkte zeitlich begrenzt und behördlich überwacht testweise an Verbraucher abgegeben werden, während das eigentliche Novel-Food-Zulassungsverfahren läuft. In Deutschland könnte die Bundesregierung mit dem geplanten Reallabore-Gesetz nachziehen. Über eine sogenannte Experimentierklausel ließe sich innerhalb weniger Monate ein rechtssicherer, niedrigschwelliger Pilotraum für das Testen neuartiger Lebensmittel schaffen. Dies hätte laut Formo eine starke Signalwirkung für Industrie und Investoren.