Unmut über Besetzung der Wahlrechtskommission
Mit der Entscheidung, die Kommission zur reform des bundestagswahlrechts ausschließlich mit eigenen Abgeordneten zu besetzen, haben Union und SPD erhebliche Kritik ausgelöst. Die Bundesvorsitzende der Linken, Ines Schwerdtner, forderte in der „Süddeutschen Zeitung“, die große Koalition solle die demokratische Opposition stärker einbeziehen. Alles andere erhöhe den Politikverdruss und verstärke das gefühl, die Regierung mache Politik an den Menschen vorbei. Schwerdtner bezeichnete es als beschämend, dass die Regierung nicht einmal das schaffe, was bei der Ampelkoalition noch möglich gewesen sei: die Einbindung der Linken bei solchen Entscheidungen.
Kritik von Grünen und Linken
Auch die Grünen äußerten sich kritisch zum Vorgehen der Koalition. Grünen-fraktionschefin Britta Haßelmann sprach von einem schlechten parlamentarischen Stil. Sie verwies darauf, dass es der CDU/CSU in früheren Wahlrechtskommissionen immer darum gegangen sei, parteitaktische Interessen in den Mittelpunkt zu stellen und sich bei der Sitzvergabe zu bevorteilen. Die Begrenzung des Bundestags auf 630 Abgeordnete und die Abschaffung von Überhang- und Ausgleichsmandaten durch die Ampelkoalition bezeichnete Haßelmann als wichtigen Erfolg, da damit das Verhältniswahlrecht und ein arbeitsfähiges Parlament garantiert würden.
Koalition verteidigt Vorgehen
Die Koalitionsfraktionen verteidigten ihre Entscheidung, keine Oppositionsabgeordneten in die neue Wahlrechtskommission aufzunehmen. Johannes Fechner, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion, erklärte, man wolle schnell zu einem Ergebnis kommen. Alle möglichen Ideen und Konzepte lägen bereits vor, weshalb es keine langen Beratungen, sondern eine Entscheidung brauche. Dies sei zunächst Sache der Koalition, die sich auf ein Modell einigen müsse. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren werde man dann mit grünen und Linken sprechen, da das Wahlrecht mit breiter Mehrheit verabschiedet werden solle.
Reaktionen der Union
Die Unionsfraktion verwies darauf,dass die Ampelkoalition bei ihrer Wahlrechtsänderung die damals oppositionelle Union nicht ernsthaft eingebunden habe.Steffen Bilger, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der unionsfraktion, bezeichnete die Wahlrechtsreform der Ampel als tiefgreifenden Systemwechsel, bei dem eine ernsthafte Einbindung der Opposition angebracht gewesen wäre. Die aktuelle Koalition nehme nun gezielte Korrekturen vor, um offensichtliche Mängel zu beheben, etwa den Zustand, dass nicht alle wahlkreissieger ins Parlament einziehen dürfen und einzelne Wahlkreise ohne Bundestagsabgeordnete bleiben.
Die Kommission solle Vorschläge für eine verfassungsgemäße und faire Wahlrechtskorrektur erarbeiten. diese Vorschläge würden im Bundestag offen diskutiert, auch mit der Opposition, die ausdrücklich eingeladen sei, sich konstruktiv einzubringen. bilger und Fechner werden beide Mitglieder der neuen Wahlrechtskommission sein.
hintergrund zur Wahlrechtsreform
Nach dem ab 1956 gültigen Wahlrecht wurden die Sitze im Bundestag entsprechend dem Zweitstimmenanteil der Parteien vergeben und zunächst mit Direktmandaten aus den Wahlkreisen aufgefüllt. Erhielt eine Partei mehr Direktmandate, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustanden, entstanden Überhangmandate.
2011 wurden nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Ausgleichsmandate eingeführt, um die Sitzverteilung proportional zum Zweitstimmenergebnis zu gestalten. Dies führte zu einem Anwachsen des Bundestages und einer Stärkung kleinerer Parteien. Eine Reform im Jahr 2020 sorgte dafür, dass nicht mehr alle Überhangmandate ausgeglichen wurden, wovon vor allem die CSU profitierte.
Die von der Ampelkoalition beschlossene und vom Bundesverfassungsgericht weitgehend bestätigte Reform sieht vor, dass es keine Überhang- und Ausgleichsmandate mehr gibt. Dadurch verlieren alle Parteien im vergleich zur zeit vor 2020 gleichmäßig Sitze. im Vergleich zur Situation danach ist die CSU stärker betroffen. Ein Nachteil der Reform ist, dass manche Wahlkreise nicht mehr im Bundestag vertreten sind. Bei der letzten Wahl waren 23 Erststimmensieger von dieser Regelung betroffen.